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Diese Kleinkunst ist wahre Fein-Kunst (MZ 02/24)

Diese Kleinkunst ist wahre Fein-Kunst
Matthias Gietl jongliert im Regensburger Statt-Theater mit Worten und Keulen

Von Peter Pavlas

Regensburg. Einen höchst unterhaltsamen Abend bot Matthias Gietl unter dem Motto „Liebe, Sex und Einsamkeit“. Im Statt-Theater ließ er auch Zauberkunststücke sehen und artistische Jonglagen. Als „poetische Comedy“ bezeichnet der junge Mann seine Darbietungen. Seit der Premiere im Herbst waren alle Zusatzvorstellungen seines ersten Programms schnell ausverkauft. Kein Wunder – auch bei dem plakativen Titel.
Schon im Familienkreis sei es ihm gelungen, Menschen mit seinen Tricks zu beeindrucken, sagt Matthias Gietl. Mittlerweile sei er staatlich diplomierter Komiker und habe die Sprache als drittes Element in seinen Vortrag gepackt. Nicht den verbalen Dreschflegel schwingt er da allerdings, auch kommt er nicht mit gusseisernen Meinungen und Aufrufen daher. Eher leicht hingetupft wirken seine Geschichten und Gedichte. Von Beginn an gewinnt er das Publikum für sich, verteilt Rosen, später anspielungsreiches Obst.
Gietls Texte spielen mit der Sprache, mit Reimen und absonderlichen Konstellationen wie den Dichtungen und Tropfenfängern, die Produkte der Liebe eines Wasserhuhns sind. Was zwischen Mann und Frau so geschieht, ist das Thema der meisten Nummern. Das wird klar, als zu Beginn zu Bachs d-moll-Toccata die Stimme des Herrn erschallt. Die Geschlechtsteile der Menschen habe er an einem trüben Tag erschaffen, den Menschen erst danach den Sexualtrieb eingepflanzt, auf dass sie sich dieser Organe munter bedienen mögen.
Dornröschen reimt sich auf Fröschen in seiner Märchen-Parodie, die Gietl mit starker Mimik und Gestik interpretiert. Die Prinzessin verhält sich hier menschlich fragwürdig und ökologisch völlig inkorrekt, befindet in der Pause ein Zuschauer. Eine Ode übers Küssen folgt, dann eine Szene beim Fußball-Schauen, bei der die Erfahrungen der Ehefrau aus dem Seminar zur gewaltfreien Kommunikation nicht unbedingt zielführend sind. Das TV-Nachtprogramm „Wild Honey“ lässt eine andere Gattin überlegen, wie sie Pfiff in ihr Liebesleben bringen kann. Mit Nudelholz und Fahrradkette überrascht sie den Gatten. Seine Zuschauer ermuntert Gietl, sich in der Pause an einer Etagère mit symbolhaft-erotisch aufgeladenem Obst zu bedienen und damit gleich andere nette Menschen im Theater anzubaggern. Nicht erst nach dem Hinweis auf die Kartoffel („ist wie Ehe, der volle Genuss stellt sich nicht beim ersten Bissen ein!“) johlt der Saal.
Sehr poetisch sind die Texte, in denen sich der Comedian mit sich selbst beschäftigt. Ver-kehr gehabt zu haben, ver-kehrt zu sein, und das auch noch im Ver-kehr von Hanno-ver, das lässt an Sprachspielereien von Valentin denken. An anderen Stellen schimmern Erinnerungen an Ringelnatz durch oder an Robert Gernhardts „Animal-Erotica“. Wo bleibt das „D“, dann das „W“? Dem Motto des Abends weniger verwandt, gleichwie höchst effektvoll ist Gietls Ansprache, in der er konsequent auf immer weitere Konsonanten verzichtet. Thematisch anspielungsfrei sind ebenfalls die Taschenspielertricks und artistischen Jonglagen mit Keulen, Karten, Tüchern und Schnüren. Geschickt täuscht Gietl Misslingen vor, damit einer Zuschauerin dann selbst die Perfektion gelingt und aus Abschnitten die ganze Schnur wird. Beim Jonglieren mit zwei Bällen und einem Apfel verspeist der Künstler teilweise das rote Obst Bissen für Bissen.
Was den Abend so besonders macht, ist der unaufgeregte Plauderton, in dem Gietl das Publikum in sein Varieté-artiges Programm mit einbezieht. Statt pausenlos Wortkaskaden abzufeuern, lässt er uns Zeit, seinen herrlich skurrilen Gedanken zu folgen, setzt auf die unfehlbare Wirkung von Pausen. Noch bekommen die Affen keinen Zucker – Gietls Kleinkunst ist wahre Fein-Kunst.